Gedenken zum Tag der Befreiung in Weißwasser/O.L.
08.05.2022 DruckversionPDFHeute hat Oberbürgermeister Torsten Pötzsch auf dem Friedhof in Weißwasser/O.L. mit Engagierten, Stadträten und Bürgern:Innen dem Leid unzähliger Menschen im Naziregime und der Befreiung durch die Alliierten gedacht.
Sehr geehrte Anwesende, Vertreter von Vereinen, Damen und Herren des Stadtrats, der Kreis- und Landespolitik, Einwohnerinnen und Einwohner, sehr geehrte Gäste – und ein herzliches Guten Tag an alle Mütter zum Muttertag!
der Tag der Befreiung ist ein besonderer Gedenktag. Der 8. Mai als Tag der Befreiung vom Naziregime steht für das Ende einer unsäglichen Zeit von Leid, Terror, Angst, Gewalt und Krieg.
Die Befreiung der Welt vom Faschismus des Naziregimes in Deutschland war zugleich die Chance auf einen Neuanfang. Es galt, aus der Geschichte zu lernen, zu verstehen, wie es so weit kommen konnte – und, wie jeder Mensch und jede Zivilgesellschaft es auch immer selbst in der Hand hat, Leid und Terror zu verhindern.
Deutschland hat gelernt. Wir leben in der Demokratie und wir leben die Demokratie. Dadurch haben wir ein vergleichsweise gutes Leben – bei allen Sorgen und Nöten, welche uns das Leben mit Krankheit, Tod, Unglück, Virus-Pandemien und Wirtschaftskrisen bereithält. Das unfassbare Böse ist aber der Krieg. Denn hier gehen nicht die zugrunde, welche die Verantwortung tragen – sondern die Familien, Kinder, Großeltern, Väter und Mütter. Jeder Krieg ist ein Krieg gegen die Menschen.
In den vergangenen Jahren war ich oft dankbar, dass ich zu jung bin – um einen Krieg erlebt zu haben. Seit dem 24. Februar ist der Krieg uns sehr nahe gekommen. Er kann jederzeit über uns hereinbrechen – auch in Deutschland. Seit Wochen versuchen wir mit aller Kraft Flüchtlingen aus der Ukraine zu helfen, bis an den Rand der Erschöpfung. Und zugleich wissen wir aus den Berichten der Geflüchteten, dass dieses kleine Opfer nichts im Vergleich zu dem Leid und den Traumata der Geflüchteten ist. Als ich dem Stadtrat über die Weißwasseraner Ukrainehilfe in Weißwasser/O.L. berichtete, gab es auch Stimmen, welche der Legitimationserzählungen des Kriegstreibers Putin folgten – als ob es die Schuld der Geflüchteten sei, angegriffen und vertrieben zu werden. Erschrocken hat mich dabei nicht die andere Geschichtsdeutung oder politische Position. Es war die Ignoranz des Leids von Zivilisten, die Familienmitglieder, Verwandte, Bekannte, Freunde und ihre Zukunft in der Heimat verloren haben. Es ist doch Irrsinn zu glauben, wir würden Flüchtlingen helfen, weil wir politisch das für richtig halten. Vielmehr ist es Anstand, Empathie, Menschlichkeit und Nächstenliebe, die helfen lassen.
Durch die politische Diskussion habe ich auch meine Stellvertreter als Oberbürgermeister, Stadtrat Herrn Rudoba nach seiner Sicht darauf gefragt, wie der Tag der Befreiung ausgelegt werden könne – von den Hetzern, Brandstiftern und Geschichtsdeutern. Würden Sie sagen, dass damals die Rote Armee Deutschland und die Welt vom Naziregime befreit hat? Und ist das nicht genau die gleiche Argumentation, welche Putin als Legitimation für seinen Angriffskrieg verwendet? Herr Rudoba hat das mit zwei Sätzen auf den Punkt gebracht. Ich zitiere: „Befreier waren die Alliierten. Größten Anteil mit größten Opfern hatte die Sowjetunion in deren Armee Bürger aus 15 Sowjetrepubliken und aus Polen kämpften und starben.“ Und dann fasst er das heutige Gedenken zusammen, was ich vollumfänglich teil: „Meine Solidarität und Hilfe gilt den Opfern, nicht den Armeen mit ihren Kriegsmaschinen.“
Und genau das hat uns heute hier zusammengeführt. Wir gedenken den Opfern und dem unsäglichen Leid. Wir stehen für eine achtsame und menschliche Demokratie.
Die Menschlichkeit ist es, die dem Krieg etwas entgegensetzen kann. Und hier sind wir alle gefragt. In Weißwasser/O.L. gibt es viele Einwohnerinnen und Einwohner, die Flüchtlinge aufgenommen haben. Die großen Wohnungsunternehmen und die kleinen haben Wohnungen an Geflüchtete vermietet. Mit Geld- und Sachspenden haben viele Menschen die Einrichtung der Wohnungen ermöglich. Das ist gelebte Mitmenschlichkeit. Das ist ein Zeichen gegen Krieg und Terror und für das Miteinander. Vereine engagieren sich, Privatleute arbeiten bis zum Umfallen an der Hilfe für die Geflüchteten. Und ich bitte, weiter zu machen. Denn das Leid ist groß. Seit Ende vergangener Woche haben wir nach vielen Gesprächen mit der Landesdirektion und der Asylbehörde des Landkreises die Chance auf einen großen, gemeinsamen Akt der Mitmenschlichkeit. 60 Menschen aus der Erstaufnahmeeinrichtung Kiez am Braunsteich wollen wir als Stadtgesellschaft unterbringen – denn diese Geflüchteten leben schon seit Wochen in Weißwasser/O.L., haben zumeist alles verloren und wollen hier arbeiten, leben und ihre Kinder in die Schule schicken. Sie haben sich auf Nachfrage klar geäußert, hier bei uns in Weißwasser/O.L. zu bleiben. Wer helfen kann, mit Möbeln, Küchengeräten, Bad- und Hygieneartikeln, Bettwäsche, Geschirr, Lampen, Stühlen und Tischen, kann sich bei der Stadtverwaltung melden. Wir koordinieren mit einem Netzwerk aus Helfern, dass die Spenden für die Wohnungen schnell an ihren Platz kommen und die Familien – zumeist Mütter mit ihren Kindern – eine Unterkunft haben. Diese Hilfe ist auch für uns eine Chance, denn damit zeigen wir, dass uns auch das Leid der Anderen an der Seele packt, dass wir nicht nur für uns Demokratie und Nächstenliebe leben – sondern auch für diejenigen, die vor dem Krieg geflüchtet sind. Lassen Sie uns gemeinsam den Tag der Befreiung 2022 in unserer Stadtgeschichte als den Tag eingehen, bei dem die Menschen in Weißwasser einmal mehr Demokratie und Menschlichkeit vorgelebt haben und eine fast unmögliche Aufgabe, in kürzester Zeit 30 bis 40 Wohnungen komplett auszustatten, geschafft haben. Vielen Dank!
Jetzt bitte ich um das gemeinsame Gedenken an die Opfer von Gewalt und Terror.